„Solange in Schlangen in der bisherigen Form gebadet wird…“ – Vor 90 Jahren: Protest aus Bad Lippspringe Reviewed by Klaus-Peter Semler on . Von Heinz Wiemann „O tempora! O mores! - O Zeiten! O Sitten!“ Dieser Ausruf des römischen Staatsmannes Cicero mag dem Bad Lippspringer Kaplan Friedrich Schröer sfsdfsdfsdf Von Heinz Wiemann „O tempora! O mores! - O Zeiten! O Sitten!“ Dieser Ausruf des römischen Staatsmannes Cicero mag dem Bad Lippspringer Kaplan Friedrich Schröer Rating: 0

„Solange in Schlangen in der bisherigen Form gebadet wird…“ – Vor 90 Jahren: Protest aus Bad Lippspringe

Von Heinz Wiemann

„O tempora! O mores! – O Zeiten! O Sitten!“ Dieser Ausruf des römischen Staatsmannes Cicero mag dem Bad Lippspringer Kaplan Friedrich Schröer besonders im Jahre 1926 oft durch den Kopf gegangen sein. In Schlangen war am 2. Pfingsttag die Badeanstalt eingeweiht worden. Und was dem Geistlichen an Berichten über die „Baderei“ zu Ohren kam, hat ihn mächtig in Rage gebracht. Das Badevergnügen wird heute, auch von Seiten der Kirche mit anderen Augen gesehen: Andere Zeiten, andere Sitten!

 

Die Pfingsten 1926 eröffnete Schlänger Badeanstalt fand nicht nur Lob und Aner-kennung. Foto: H. Fleege 1929

Die Pfingsten 1926 eröffnete Schlänger Badeanstalt fand nicht nur Lob und Anerkennung.
Foto: H. Fleege 1929

 

 

Alme-Freibad: Ein Zelttuch zwischen Damenfreibad und Herrenfreibad

 

Was Friedrich Schröer, 1889 in Gelsenkirchen geboren und seit 1920 Kaplan in Bad Lippspringe, Anno 1926 bewegte, schlug auch andernorts Wellen, so in Paderborn. Ein Jahr bevor Kaplan Schröer als Präses des Arbeitervereins das erste Schreiben in Sachen Badeanstalt Schlangen auf den Weg brachte, wurde in Paderborn schriftlich festgehalten: „Heute Nachmittag (19. August 1925) fand eine Besichtigung des Alme-Freibades statt, an der teilnahmen Stadtverordnetenvorsteher Peters, Frau Peters, Staatsanwalt Ebbers, Polizeioberinspektor Löhr und der unterzeichnete Bürgermeister. Nach längerer Aussprache kam man allgemein zu der Überzeugung, dass es wünschenswert sei, das Damenfreibad sofort wieder zu eröffnen, um das wilde Baden der Damen an anderen Stellen der Alme oder der Lippe zu verhindern. Vor der Wiedereröffnung des Damenfreibades soll aber eine bessere Abtrennung des Damenfreibades vom Herrenfreibade durchgeführt werden in der Weise, dass zwischen beiden ein Zelttuch in Mannshöhe von der oberen Böschung bis über die Alme hinweg gespannt wird. Der bei der Ortsbesichtigung anwesende Wirt Brand übernahm die Durchführung der Abtrennung, nachdem der Unterzeichnete ihm einen Zuschuss bis zu 50 Mark zu den Kosten versprochen hatte…“
Mit der Geschlechtertrennung im Alme-Freibad vor den Toren der Stadt Paderborn muss es nicht recht geklappt haben. Jedenfalls erschien am 19. Juli 1928 Rektor i.R. Theodor Hake bei der Kriminalpolizei und gab u. a. zu Protokoll: „… Ich ging am Ufer der Alme abwärts und kam an die Einfassung. Dort war ein lebhaftes Treiben. Ich bemerkte hauptsächlich junge Frauenspersonen und Mädchen. Dazwischen bewegten sich aber auch zahlreiche männliche Personen. Die meisten waren im Badeanzuge… Ich sah auch eine Familie, Vater, Mutter, mit zwei Kindern. Die Kinder von vier bis fünf Jahren trugen keine Badehose. Was mich am meisten gestoßen hat, war der Umstand, dass männliche und weibliche Personen ohne Hindernis vom Damen- zum Herrenbad und umgekehrt verkehren konnten. Am Damenbad konnte ich nicht unterscheiden, ob es ein Damen- oder Herrenbad war, so viele männliche Personen bewegten sich dort…“
In der 1990 erschienenen Schrift „Paderborn in der Weimarer Republik, 1918 bis 1930“ ist Weiteres über das Alme-Bad zu erfahren. Von „Astlochguckern“ ist auch die Rede und von „moralischem Muckertum“.

 

Kontrolle im Schwimmbad Schlangen „völlig unzureichend“

Bei der Neuordnung alter Akten stießen Angestellte in Schlangens Gemeindeverwaltung auf einen Schriftverkehr, der nun auszugsweise veröffentlicht werden soll. Die Korrespondenz beginnt mit dem folgenden Schreiben:
Bad Lippspringe, den 9. August 1926
An die Stadtverwaltung
in Bad Lippspringe
In der gestrigen Versammlung des Arbeitervereins kam die Rede auch auf das Familien-Schwimmbad in Schlangen. Es wurde festgestellt, dass die Kontrolle völlig unzureichend ist, dass nur wenige Auskleidezellen vorhanden sind, so dass viele sich im Freien auskleiden, dass männliche und weibliche Personen zugleich in demselben Bassin baden, dass besonders viele Jugendliche von Lippspringe dort zu finden sind, dass die Einzäunung derart unvollkommen ist, dass ungehindert dem Baden zugeschaut werden kann, dass besonders auch zahlreiche Kurgäste von hier dort hingehen, die, wie ein Kurgast sagte, dafür sorgten, dass die Baderei ‚interessant‘ würde.
Die Versammlung erhob schärfsten Protest gegen die Missstände und richtete an die Stadtverwaltung die Frage, ob diese Zustände dort bekannt seien und ob die Stadtverwaltung bei der Behörde in Schlangen oder eventuell beim Lippischen Landtag vorstellig zu werden bereit sei, andernfalls die Öffentlichkeit in Lippspringe mobil gemacht würde. Auch wird gebeten, bei den Versicherungen vorstellig zu werden, dass den hier zur Kur weilenden Versicherten das Baden und Zuschauen dort in Schlangen verboten werden.
Der Arbeiterverein in Bad Lippspringe, i.A. der Präses Kaplan Schröer.“
Schlangens Gemeindevorsteher Heinrich Ellerbrok, von dem Bad Lippspringer Bürgermeister Dr. Pint um eine Stellungnahme gebeten, antwortet am 2. September 1926 u.a.:
„Glaubt der Herr Präses in Bad Lippspringe, die ganze Angelegenheit als Missstand hinstellen zu müssen, so dürfen wir uns wohl erlauben, die Urteile hochstehender Persönlichkeiten aus den benachbarten Städten Detmold, Paderborn und nicht zuletzt aus der Nachbargemeinde Bad Lippspringe selbst über die seitens der Dorfgemeinde Schlangen errichtete Badeanlage ergebenst mitzuteilen, die sämtlich die Badeangelegenheit in Schlangen immer und immer wieder als lobenswert bezeichnen.

 

Bereits 1926 war Schlangens Freibad mit zwei Sprungbrettern ausgestattet worden - besonders zur Freude der jungen Badegäste. Sammlung H. Wiemann, 1926

Bereits 1926 war Schlangens Freibad mit zwei Sprungbrettern ausgestattet worden – besonders zur Freude der jungen Badegäste.
Sammlung H. Wiemann, 1926

 

Kaplan Schröer scheint recht ungeduldig geworden zu sein. Er wartet die Antwort auf seine Eingabe an die Stadtverwaltung Bad Lippspringe erst gar nicht ab, sondern richtet am 2. September einen Brief an die Lippische Regierung in Detmold. Er schreibt: „In dem Familienbad in Schlangen wird polizeiwidrig gebadet. Polizeivorschrift ist, dass auch die männlichen Personen in Schwimmanzügen zu baden haben. Das ist in Schlangen bei den meisten Badenden nicht der Fall. Ferner sind nur fünf Ankleidezellen vorhanden. Dann ist das ganze Schwimmbassin nicht eingezäunt. Kann denn nicht getrennte Badezeit für männliche und weibliche Personen eingerichtet werden? Und ließe sich das Bassin nicht einzäunen, damit nicht gar so viele Schulkinder zuschauen können? Den Schulkindern der hiesigen katholischen Volksschule ist schon der Besuch untersagt. … Ich hoffe, in der nächsten Zeit Unterschriften zu sammeln als Protest gegen das Bad in Schlangen. Mit der Bitte, sich für getrennte Badezeiten einzusetzen, trete ich daher im Namen vieler Lippspringer an die Lippische Regierung und hoffe, keine Fehlbitte getan zu haben.“
Die Sache nimmt ihren bürokratischen Gang. Die Lippische Regierung bemüht, der Zuständigkeit wegen, das Detmolder Verwaltungsamt, und das Verwaltungsamt ersucht den Schlänger Gemeindevorstand am 1. Oktober um eine Stellungnahme. „Wenn die Badezeit auch für dieses Jahr beendet ist, so dürfte es doch angebracht sein, zu prüfen, ob besondere Maßnahmen für die Zukunft erforderlich werden“, heißt es.

 

 

Polizeiliche Vorschrift ist, dass weibliche und männliche Personen im Badeanzug zu schwimmen haben

 

Kaplan Schröer will alles andere als mit seinen Protesten „baden gehen“. So hat er bereits am 13. September 1926 wieder zur Feder gegriffen, zu einer besonders spitzen Feder, und Vorsteher Ellerbrok in einem zweiseitigen Brief auf das Schlänger Schreiben vom 2. September geantwortet. Wir zitieren einige bemerkenswerte Ausführungen: „… Polizeiliche Vorschrift ist, dass weibliche und männliche Personen im Badeanzug zu schwimmen haben. Die männlichen Personen baden aber zum größten Teil nur in Badehosen, die oft sehr mangelhaft sind. Ferner kann ich Zeugen bringen, die mir gesagt haben, dass nach dem Schwimmen auf der anliegenden Wiese im Badekostüm herumgebalgt würde, dass die Jungen die Mädchen auf den Schultern trügen usw. … Dass ferner die Jugend …zuschaut, wie die Badenden auf der Wiese herumturnen, verwerfe ich ganz.

 

Schlänger Badenixen in „polizeilich vorschriftsmäßiger“ Bekleidung. Foto: H. Fleege, 1929

Schlänger Badenixen in „polizeilich vorschriftsmäßiger“ Bekleidung.
Foto: H. Fleege, 1929

 

Wir sind, und müssen es sein, scharfe Gegner des Zusammenbadens von Jungen und Mädchen in demselben Bassin. Treibt sich nicht gerade viel junges Volk dort herum, weil es dort, wie mir einer sagte, so ‚interessant‘ sei? Wenn Sie, Herr Vorsteher, mir beweisen, dass durch diese modernen freien Anschauungen über Sitte und Wohlanständigkeit die Sittlichkeit gehoben wird, sage ich nichts mehr … Rede man nicht davon, dass durch das Zusammenbaden der beiden Geschlechter der Trieb abgestumpft würde, ich bringe Ihnen die Gegenbeweise … Ich habe früher viel geschwommen, aber in anderer Form als in der jetzt beliebten.
Wenn unsere moderne Zeit so laut nach Familienbädern schreit (das Wort ist überhaupt ein Deckname für viele sittliche Fragezeigen), dann hat diese Praxis in der kurzen Zeit schon gezeigt, dass man einen Missgriff damit getan hat, und ich weiß bereits eine Reihe von Fällen, wo man zum Einzäunen und Trennen der Geschlechter übergegangen ist. Solange daher in Schlangen in der bisherigen Form gebadet wird, werde ich weiter alle Eltern und Erziehungsberechtigten warnen – auch von der Kanzel! Und ich werde alles daransetzen, um in Lippspringe die Anlage eines Schwimmbades durchzusetzen, das unseren sittlichen Anschauungen Rechnung trägt.“
Soweit Kaplan Schröer. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen die „sittlichen Anschauungen“.

 

Planung für 1927: Die Zahl der Umkleidezellen wird erhöht

 

Am 25. Oktober 1926 verfasst Gemeindevorsteher Heinrich Ellerbrok die vom Verwaltungsamt geforderte Stellungnahme: „Der Gemeindeausschuss war sich von vornherein klar darüber, dass fünf Ankleidezellen bei weitem nicht genügen dürften. Die Finanzierung der gesamten Badeanlage war aber, mit Rücksicht darauf, dass es sich in der Hauptsache nur um freiwillige Geldspenden handeln konnte, eine recht schwierige. Es ist beabsichtigt, vor Beginn der Badezeit im kommenden Sommer mindestens 15 weitere Zellen zu schaffen. Auch ist in Aussicht genommen, dass möglichst nur in vorschriftsmäßigen Badeanzügen gebadet werden darf. Bezüglich der getrennten Badezeiten für männliche und weibliche Personen wird erwidert, dass auch schon im verflossenen Sommer für Damen besondere Stunden eingestellt waren und auch stets beachtet worden sind. Auch in dieser Beziehung ist eine Neuregelung für den kommenden Sommer vorgesehen. Eine Einfriedigung des ganzen Platzes wurde bereits im Vorjahre vorgenommen, und zwar in Form einer ‚lebenden Hecke‘. Dass diese in einem Jahr nicht die Höhe von zwei Metern erreicht, damit die Anlage von weitem nicht mehr gesehen werden kann, dürfte selbstverständlich sein. Aus Vorstehendem ist ersichtlich, dass bezüglich des Badens in Schlangen der Herr Kaplan in Zukunft beruhigt sein kann.“

 

 

„Alle wollen dieses Sündenbabel sehen.“

 

In seiner Abhandlung über die Badeanstalt in Schlangen, 1956 im Heft Nr. 4 des „Gemeindeboten“ veröffentlicht, berichtet Adolf Schmidt: „Nun hatten wir eine Badeanstalt, aber leider ließ das Badewetter auf sich warten. Endlich, nach drei bis vier Wochen, gab es Leben. Die Schulkinder machten den Anfang, aber auch schulentlassene Mädchen versuchten es schon mal. Es fehlte nur noch der richtige Propagandaschlag. Doch dieser kam schneller, als wir gedacht hatten. In Bad Lippspringe hatte morgens gegen 9 Uhr ein Kaplan gepredigt und dabei wörtlich gerufen: ‚Eltern, lasst Eure Töchter nicht nach Schlangen zum Freibad gehen! Mir ist da was zu Ohren gekommen!‘ – Die Worte hatten genügt. Gegen 10 Uhr setzte die Wanderung von Bad Lippspringe ein. Alle wollten dieses Sündenbabel, welches wir in Schlangen errichtet hatten, sehen, und sie wurden dabei von unserem schönen Freibad überrascht. Um 14 Uhr hatte Bademeister Hermann Wolf schon 800 Eintrittskarten verkauft…“

 

Nach der am 30. Mai 1927 erfolgten amtlichen Genehmigung wurden in massiver Bauweise zwölf (nicht zehn wie in der Zeichnung angegeben) Einzel-Umkleidezellen (jede einen Meter breit) und drei Gruppenräume geschaffen.

Nach der am 30. Mai 1927 erfolgten amtlichen Genehmigung wurden in massiver Bauweise zwölf (nicht zehn wie in der Zeichnung angegeben) Einzel-Umkleidezellen (jede einen Meter breit) und drei Gruppenräume geschaffen.

 

Die Ausführungen wurden dem von Heinz Wiemann bearbeiteten und 1991 von dem Verlag Heinrich Fleege (Schlangen) herausgegebenen Buch „Schlangen, Kohlstädt, Oesterholz, Haustenbeck – Beiträge zur Geschichte“ entnommen.

(Publiziert am 17. Januar 2016)

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